Welche Trends lassen sich in puncto Landschaftsarchitektur in den letzten Jahren verzeichnen?
Prof. Regine Keller: Ich beobachte den Trend, dass Flächen häufiger multifunktional genutzt werden. Dabei überlagern sich funktionale, ästhetische und ökologische Themen. So kann ich als Landschaftsarchitektin aus meinen befestigten Flächen in Außenanlagen – wie Zufahrten, Feuerwehrflächen oder Aufstellflächen – mehr machen und diese auch noch andersartig nutzen. Kinder können wunderbar auf diesen Flächen – wenn sie z. B. asphaltiert sind – mit Kreide malen oder spielen. In den vergangenen Jahren ist das Bewusstsein dafür gestiegen, das notwendige Übel mit angenehmen und gewollten Nutzungen zu verbinden. Was sich auch beobachten lässt, ist der zunehmende Wunsch der Bevölkerung, selbst mitzugestalten und aktiv zu sein, beispielsweise beim Selbergärtnern. Darauf reagieren Wohnungsbauunternehmen zunehmend – mit Mietergärten, mit Beteiligungsgärten, mit Gemeinschaftsgrün und dergleichen. Außerdem erleben wir eine ökologische Renaissance, ein Sich-wieder-Hinwenden zu ökologischeren Fragestellungen. Das ist in dichter werdenden Städten und angesichts des Klimawandels auch immer wichtiger. Auch müssen wir uns in einer so dicht bebauten Stadt wie München fragen, ob wir in den letzten Jahren nicht zu viel verdichtet haben und hier nicht wieder stärker Freiflächen naturnaher gestalten sollten.
Man hat den Eindruck, dass in der Landschaftsarchitektur in den letzten Jahren der Trend zurück zur grünen Wiese geht …
Keller: Wir haben sicher noch vor gut zehn Jahren ein wesentlich designorientierteres Fach vertreten, als das heute der Fall ist. Viele Gestalter waren ganz stark auf der Designlinie unterwegs und haben das wirklich mit großem Erfolg betrieben, aber vielleicht auch auf Kosten der Grünflächen. Hier gibt es nun eine Rückbesinnung auf Grünräume und nicht nur auf Designräume. Was nicht heißt, dass eine Grünanlage nicht auch gut designt sein muss, das ist ganz wesentlich. Hier ist eine gute Gestaltung wichtig, die ansprechend ist, die harmonisch in das Stadtquartier und in den architektonischen Kontext eingefügt ist. Angesichts der sehr begrenzten Raummöglichkeiten kommen dann natürlich auch wieder Themen auf den Plan, die wir schon lange kennen, wie die Fassaden- oder die Dachbegrünung. Das erarbeiten wir dann im Dialog mit den Architekten.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit den Architekturbüros?
Keller: Es gibt altbewährte Partnerschaften, bei denen man Architekten gefunden hat oder bei denen uns Architekten gefunden haben, mit denen der Dialog sehr gut funktioniert – da werden wir dann auf beiden Seiten zu Wiederholungstätern. Mit diesen langjährigen Partnern findet dann auch eine Zusammenarbeit vom frühestmöglichen Zeitpunkt an statt. Da geht es dann erstmal um die Klärung der Fragen, wie wir an ein völlig unbebautes Grundstück herangehen, auf welche Bäume im Bestand wir achten, welche Philosophie das ganze Konstrukt aus Architektur und Freiraum hat und so weiter und so fort. Und das geschieht im Dialog. Das macht natürlich auch unheimlich viel Spaß. Ich bin begeistert von den Architekten, mit denen wir unter anderem auch bei der Bayerischen Hausbau in den letzten Jahrzehnten – über 20 Jahre sind es jetzt bei uns – zusammengearbeitet haben, weil sich da im respektvollen Umgang miteinander stabile Dialoge ergeben haben und dadurch gute Ergebnisse erzielt werden.
Gab es ein Projekt der Bayerischen Hausbau, das Ihnen besonders am Herzen lag?
Keller: Uns liegen alle Projekte der Bayerischen Hausbau besonders am Herzen (lacht). Wir sind kein Büro, das Herzensprojekte hat, sondern wir versuchen alle Projekte angemessen bezüglich deren jeweiliger Fragestellungen zu bearbeiten. Die Kontexte sind dabei höchst unterschiedlich. Bei der Hochäckerstraße haben wir beispielsweise einen freien Acker beplant, da gab es kein Drumherum und wir hatten als Vorgabe einen sehr strikten Gestaltungsleitfaden, der uns unglaublich wenig Spielraum gelassen hat. Das fand ich etwas schade. Am Nockherberg ist der Gestaltungsleitfaden dagegen liberaler und nicht ganz so eng gezurrt. Beim Teilprojekt Welfengarten – wo wir den Entwurf der Planung von Vogt Landschaftsarchitekten ausgeführt haben – könnte man aber fast schon von „Bauen im Bestand“ sprechen. Hier gibt es einen städtebaulichen Kontext, der schon viele Vorgaben macht: Da gibt es unter anderem die Bahn und die Nachbarbebauung der alten Genossenschaften. Darauf sollte man als Landschaftsarchitekt reagieren und da war die Planung wesentlich komplexer, als wenn man einen Acker, wie den an der Hochäckerstraße, entwickelt.
Wie gehen Sie in der Planung vor? Worauf achten Sie besonders?
Keller: Was bei uns wirklich eine eiserne Regel ist, ist die intensive Analyse des Ortes, des Kontexts. Das ist etwas, was ich schon an der Uni lehre und was für uns eine zwingende Voraussetzung ist: sich nicht nur mit den planungsrechtlichen Rahmenbedingungen, der Bauleitplanung intensiv auseinanderzusetzen, sondern vor allen Dingen mit dem örtlichen Kontext, also mit dem, was da schon steht, welches Stück Stadt, welche Bauten man vorfindet, welche Bäume schon da sind. Zum Beispiel beim Projekt Am Mühlbach, da ist der ökologische Kontext mit dem Bach in der Nähe ein ganz anderer als beim Welfengarten mit der Bahn nebendran. Es ist jedes Mal auch für uns eine Herausforderung, auf die jeweilige Situation angemessen zu reagieren und eine Entwurfsidee zu formulieren. Aber genau das macht es auch spannend: sich aus dem Kontext heraus mit einem Ort zu beschäftigen. Manchmal ist es auch sinnvoll, sich die historischen Vorlagen genauer anzuschauen und sich zu fragen, was da früher war? Kann man aus der Idee der historischen Bebauung, die vielleicht gar nicht mehr da ist, trotzdem etwas entwickeln? Für uns ist der Kontext einfach sehr wesentlich für den Entwurf.
Nochmal kurz zum Thema Zusammenarbeit: Haben Sie denn Wünsche an uns als Bauherrn?
Keller: Was ich gut finde ‒ man kann ja auch mal etwas Gutes sagen ‒ ist, dass wir bei der Bayerischen Hausbau immer schon sehr frühzeitig an den Projekten beteiligt werden. Man fragt uns nicht erst, wenn die Genehmigungsplanung vorgelegt werden muss, sondern wir sind von Anfang an mit dabei. Und wir können uns auch aufgrund unseres Wissens – beispielsweise was den Umgang mit Böden und mit Altlasten angeht – einbringen. Manchmal müssen wir auch ökologische Begleitplanungen machen, weil geschützte Tier- und Pflanzenarten vor Ort sind. Je früher wir mit beteiligt werden, desto besser können wir den Bauherrn beraten, und das funktioniert mit der Bayerischen Hausbau prima. Aber ich würde mir auch manchmal wünschen, dass man noch mehr in den Dialog treten könnte, wie man Nachhaltigkeit erzeugen kann, die auch vom Material her noch beständiger ist. In diesem Punkt muss ein Bauherr natürlich oft auf die Kosten schauen, das ist klar, das ist mit der Kern Ihres Geschäfts. Manchmal würde ich aber noch mehr auf dauerhaftere Materialien setzen. Wesentlich ist es, meines Erachtens, das Augenmerk auf die Alterungsfähigkeit einer Gestaltung zu legen. Da Außenanlagen, wie auch Häuser, gut altern können müssen, damit sie langfristig von den Bewohnern gemocht und auch vom Bauherrn gerne gepflegt werden. In diesem Punkt, glaube ich, könnte man den Dialog noch weiter intensivieren.
Was könnte man Ihres Erachtens in der Zusammenarbeit mit der Landeshauptstadt München verbessern?
Keller: Ich glaube, dass wir manchmal, gerade im Wohnungsbau, an die Grenzen der Regulierung stoßen. Hierzu stehen wir auch schon in Gesprächen mit der Landeshauptstadt, da wir mit dem Regelwerk der Stadt, der Freiflächengestaltungssatzung und auch der Satzung z. B. für die Zahl der Spielgeräte, inzwischen, wie ich meine, überreguliert sind. Manche Satzungen führen beispielsweise mit der Vorgabe der Anzahl von Spielgeräten einen Innenhof in einer Wohnbebauung ad absurdum, weil dieser, würde man alles beachten, mit Spielgeräten gepflastert wäre und für nichts anderes mehr Platz bliebe. Wir brauchen mehr und mehr Einzelfallentscheidungen und müssen die Stadt um Ausnahmegenehmigungen bitten, weil in der dichter werdenden Stadt die alten Regelwerke eigentlich überarbeitet werden müssten und die Stadt hier in Teilen nachjustieren sollte.
Abschließend noch kurz zum Thema Ausbildung: Hat sich da in den vergangenen Jahren Ihres Erachtens etwas verändert?
Keller: Also, es hat sich wahnsinnig viel verändert, weil sich das Spektrum der Landschaftsarchitektur extrem geweitet hat, hin zu der Bearbeitung von Arealen, die man vorher vielleicht nur Ingenieuren überlassen hat. Wenn Sie hier zum Beispiel an Alt-Industrie-Anlagen denken oder an Konversions- oder Militärflächen. In diesen Bereichen sind Landschaftsarchitekten extrem aktiv. Auch das Thema Wasser in der Stadt, die Renaturierung von Flüssen, das sind große landschaftsarchitektonische Aufgaben geworden, die es noch vor 20, 30 Jahren in der Größenordnung und Masse gar nicht gab. Und darüber hinaus arbeiten wir immer stärker transdisziplinär. Das bedeutet, dass wir noch intensiver mit Ingenieuren zusammenarbeiten, aber auch zunehmend mit Anthropologen, um auch sozialen Themen Rechnung tragen zu können – insbesondere, wenn wir im öffentlichen Raum arbeiten und hier Antworten auf gesellschaftliche Fragestellungen finden müssen. Das ist einfach wesentlich mehr geworden. In diesem Zusammenhang ist auch das Thema Partizipation für uns Landschaftsarchitekten immer wichtiger geworden.
Gibt es noch etwas, was Ihnen am Herzen liegt, wenn Sie das Fachgebiet Landschaftsarchitektur betrachten?
Keller: Ich fände es wichtig, dass man der Landschaftsarchitektur tatsächlich den richtigen Stellenwert beimisst und sie bei der Nachverdichtung von Stadt nicht nur als notwendiges Übel betrachtet. Vielmehr sollte das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass das Erzeugen von Atmosphäre – und das ist das, was Landschaftsarchitekten im Außenraum schaffen – wesentlich dazu beiträgt, welche Lebensqualität eine Stadt im Wohnungsbau wie auch im öffentlichen Raum hat. Und ich glaube, das ist das, was wir einfach können, und das können wir vielleicht sogar besser als die Architekten.